Reinhardt Etzrodt: 2015 mit militanten Nazis marschiert, 2020 Stadtratsvorsitzender für die AfD Gera

Martin, Reinhard und Bettina Etzrodt am 15.6.2015 bei der Thügida-Auftaktkundgebung in Gera. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Der Geraer Stadtrat hat am 24.09.2020 den AfD-Politiker Reinhard Etzrodt zum Vorsitzenden gewählt. Elf von 23 Stimmen müssen von anderen Parteien als der AfD gekommen sein. Die CDU will es nicht gewesen sein. Zu Recht weisen zahlreiche Veröffentlichungen wiederholt auf die Gefährlichkeit der AfD hin, im Speziellen auf die Thüringer Höcke-Partei. Auch Reinhard Etzrodt persönlich ist schon einschlägig aufgefallen: Er marschierte im Juni 2015 bei der Thügida-Demo in Gera mit. Diese wurde von bekannten NPD-Aktivisten und Antisemiten der mittlerweile aufgelösten „Europäischen Aktion“ organisiert. Etzrodt lief an dem Tag außerdem neben früheren Weggefährten des NSU-Kerntrios und Aktivisten des Anfang 2020 verbotenen militanten Netzwerks “Combat 18”. Begleitet wurde der jetzige Stadtratsvorsitzende damals von seiner Frau Bettina, ebenfalls heute AfD-Politikerin in Gera, und Martin Etzrodt, der für die AfD im Kreistag des Saale-Holzland-Kreises sitzt. Die kommunalpolitisch erfolgreichen Etzrodts passen somit bestens in die AfD – den parlamentarischen Arm der Naziszene. Reinhard Etzrodt verlängert diesen nun bis zum Vorsitz des Geraer Stadtrates.

Thügida – Ein Sammelbecken für Neonazis, AntisemitInnen und KameradschafterInnen

Thügida am 15.06.2015 in Gera verhieß genau das, was sich zuvor schon andernorts abgespielt hatte: Antisemitische Mythen, rassistische Hetze und Teilnehmer*innen aus neofaschistischen Parteien, Kameradschaften und dem Hooliganmilieu. Dieses Bild hatte sich durch die vorangegangenen rechten Aufmärsche in Erfurt, Suhl, Greiz und anderen Orten bereits verfestigt. Die maßgeblichen Organisatoren waren allerorts dieselben: David Köckert, damals Kreistagsmitglied für die Greizer NPD, Axel Schlimper, Kader der antisemitischen Europäischen Aktion in Thüringen, und Ringo Köhler, der 2009 für die NPD in Saalfeld-Rudolstadt kandidierte und in der Kameradschaft Freies Netz Saalfeld aktiv war. In Gera zählten zu den Mitorganisatoren aus den Strukturen Wir lieben den Saale-Holzland-Kreis und Wir lieben Gera außerdem die Kameradschafts-Nazis um Markus Dettler (Gera), Robert Köcher (Kahla), Martin Brehme (Eisenberg), und die organisierten Holocaust-Leugner Christian Bärthel (Ronneburg), Frank Geißler (Pößneck) und Ralf-Dieter Gabel (Kamsdorf). Es war außerdem auch der Onkel des NSU-Unterstützers und berüchtigen V-Mannes Tino Brandt, Matthias Brandt aus Rudolstadt-Schwarza da, der zeitweise für die NPD im dortigen Kreistag saß und 2015 ebenfalls Thügida-Aktivist wurde.

Die Thügida-Organisatoren am 15.06.2015 in Gera: am Mikro Axel Schlimper (Europäische Aktion); hinterm LKW: Ringo Köhler und David Köckert; rechts vom LKW: Antonio und Ricardo Szaszko (Jungsturm Kahla), Markus Dettler (in weiß), Robert Köcher (antisemitisches NWO-Shirt), Christian Bärthel (kurzes Hemd), Matthias Brandt (mit grünem Hemd und Deutschlandflagge), Martin Brehme (rechts oben in schwarz). (Foto: Antifa Recherche Gera)

Martin Etzrodt auf der Bühne der antisemitischen Europäischen Aktion

Axel Schlimper hatte bereits bei vorigen Thügida-Demos deutlich gemacht, worum es ihm und seiner Europäischen Aktion geht: Hetze gegen Jüd*innen und Verbreitung antisemitischer Verschwörungsmythen. In einer wirren und aggressiven Rede am 23.3.2015 in Erfurt erklärte er:

„(…) Denn die Pläne Coudenhove-Kalergi beinhalten genau das, was wir jetzt gerade gesehen haben: Eine eurasisch-negroide Mischrasse soll aus uns gezüchtet werden. Und da diese Mischrasse sich nicht selbst organisieren kann, bedarf es einer Führungsschicht. Und Coudenhove-Kalergi hat diese Führungsschicht in seinem Werk “Praktischer Idealismus” von 1925 in den europäischen Juden ausgemacht. Wir fordern: Ein Ende des Volksverhetzungsparagraphen 130 (…)“

Auf Schlimpers Rede folgte in Erfurt ein weiterer Redner, der unmissverständlich ins Mikro rief: „Ich scheiß auf diese Willkommenskultur, die ist unnatürlich!“ – dieser Redner war Martin Etzrodt. Als die Etzrodts am 15.06.2015 zur Thügida-Demo in Gera gingen, war ihnen daher mehr als bewusst, wem sie sich anschließen würden. Selbstredend stand das Geschrei von David Köckert in Gera Axel Schlimpers Hetze in nichts nach: „Eure Demokratie stinkt zum Himmel! Denn das ist keine Demokratie, die andere Meinungen schätzt. Das ist eine Demokratie, die andere Meinungen unterdrückt!“ Dabei gestikulierte er wild mit seinen Händen, auf denen rechts „2004“ und links „1889“ tätowiert steht – das Geburtsdatum Adolf Hitlers.

David Köckert bei seiner Hetzrede am 15.6.2015 in Gera; 1.v.l. mit Fahne ist Holocaust-Leugner Ralf-Dieter Gabel. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Die Etzrodts hörten derweil aufmerksam zu und schlossen sich danach dem Demozug an.

Lauschten David Köckerts Hetze: Reinhard (1.v.r.), Bettina (2.v.r.) und Martin Etzrodt (mittig hinten). (Bild: Youtube)

Mit dabei: Weggefährten des NSU-Kerntrios und Anhänger des rechtsterroristischen C18-Netzwerks

Als sich der Demozug in Bewegung gesetzt hatte, zeigten sich weitere Gesichter, die aus neonazistischen Netzwerken und militanten Strukturen bekannt sind. In einer Reihe liefen Anika Metze von der NS-Splitterpartei „Der Dritte Weg“, Daniel Steinmüller vom Anfang 2020 verbotenen militanten Netzwerk „Combat 18″ (vgl. früheren Artikel zu Wetzel und Steinmüller) und Jörg Krautheim, der in den 1990ern als Mitglied der Kameradschaft Gera zu den Weggefährten des späteren NSU-Kerntrios gehörte:

Daniel Steinmüller (1.v.l.), Anika Wetzel (2.v.l.) und Jörg Krautheim (mittig rechts in rot-weiß kariert) am 15.6.2015 bei Thügida Gera (Foto: Antifa Recherche Gera)

Ein Bild von 1997 illustriert die Nähe Jörg Krautheims zu den maßgeblichen Personen des späteren NSU-Komplexes:

Uwe Böhnhardt (links v. schwarz-weiß-rotem Banner), Uwe Mundlos (rechts v. Banner), mittig eingekreist Jörg Krautheim, davor Tino Brandt, Beate Zschäpe und André Kapke 1997 in Neuhaus am Rennweg (Foto übernommen von Thüringen Rechtsaußen)

Etzrodts mitten drin

Unweit dahinter liefen die Etzrodts, die sich offenbar nicht trotz, sondern wegen der offenkundigen neonazistischen Hetze nach der Auftaktkundgebung auch dem Demonstrationszug anschlossen:

Mittig Reinhard Etzrodt, rechts davon Martin Etzrodt. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Und auch gegen Ende der Demo liefen die Etzrodts einhellig neben einem Fahnenträger der Europäischen Aktion. Die Europäische Aktion löste sich 2017 auf, als Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen ihre Mitglieder geführt wurde. Zuvor hatte es in Ungarn einen antisemitischen Mord gegeben. Die Tatwaffe hatte mutmaßlich ein österreichischer Kontaktmann geliefert, mit dem sich Axel Schlimper 2014 in Wien getroffen hatte (vgl. ZEIT). Bei Durchsuchungen von Schlimpers Haus wurden 2017 auch Waffen und Munition gefunden.

Etzrodts neben einem Antisemiten der Europäischen Aktion am 15.6.2015 in Gera. (Foto: Antifa Recherche Gera)

Auch im Digitalen zeigen die Etzrodts ihre politische Gesinnung. Bettina Etzrodt bekundet auf Facebook noch bis mindestens Ende 2018 ihr Sympathien für die “PEGIDA”-Bewegung, NPD, “Der Flügel”, Reichsbürger-Ideologie und Islamophobie.

Facebook-Likes von Bettina Etzrodt im September 2018.

Keine Einzelfälle

Es ist zu erwarten, dass Kritiker*innen wie Verteidiger*innen Reinhard Etzrodts eine personalisierte Debatte führen werden. Jedoch geht es hierbei weder einzig um die Person Reinhard Etzrodt noch um eine vermeintliche Ausnahme des Geraer Stadtrats. Reinhard, Bettina und Martin Etzrodt können als BrückenbauerInnen zwischen Rechtsaußen und gemäßigten Teilen der AfD gesehen werden, halten sie sich doch gegenwärtig mit allzu offenen Ideologiebekundungen eher bedeckt. Andere AfD-Stadträte sind noch im Jahr 2020 auf bundesweiten Naziaufmärschen mitgelaufen oder unterhalten Verbindungen zur NPD und Holocaust-Leugnern. Für die Geraer AfD gilt, was auch überall sonst klar sein sollte: Man kriegt keine AfD ohne FaschistInnen.
Der Geraer Stadtrat vollendet die Normalisierung der AfD auf kommunaler Ebene, die sich z.B. im Nachbarlandkreis im Kleinen bereits vollzog: Martin Etzrodt, der sich die Bühne mit dem glühenden Antisemiten Schlimper teilte, bei mehreren Thügida-Aufmärschen mitlief und an internen Thügida-Organisationstreffen mit bekannten Neonazis teilnahm, wurde vom Kreistag des Saale-Holzland-Kreises mit den Stimmen von CDU und FDP als Verbandsrat des Zweckverbands Kooperationsmodell Abfallwirtschaft (KAT) bestätigt. Während der Fall Kemmerich oder die Wahl des AfD-Abgeordneten Kaufmann zum Landtagsvize bundesweit Aufmerksamkeit erzeugte, bleiben die vielen kommunalen Kooperationen von Konservativen und der faschistischen AfD häufig unbemerkt. Angesichts des nahenden Jahrestags des antisemitischen und rassistischen Attentats von Halle kann nicht oft genug auf die Mitverantwortung derer hingewiesen werden, die die HetzerInnen der AfD für kooperationswürdig halten, über ihre Verschmelzung mit antisemitischen und militanten Nazis hinwegsehen oder sie gar zu Stadtratsvorsitzenden wählen.

Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit der Antifa Recherche Gera